I, Tonya

I, Tonya
Originaltitel: I, Tonya – Erscheinungsjahr: 2017 – Regie: Craig Gillespie

Erscheinungstermin: Ab dem 22.03.2018 im Kino

Darsteller: Margot Robbie, Sebastian Stan, Allison Janney, Julianne Nicholson, Paul Walter Hauser, Bobby Cannavale, Bojana Novakovic, Caitlin Carver, Maizie Smith, Mckenna Grace, Suehyla El-Attar, Jason Davis

Filmkritik: Sie war die berühmteste Person der Welt – nach Bill Clinton. Als erste Amerikanerin vollzog Tonya Harding (Margot Robbie) innerhalb eines Wettbewerbs gleich zwei sogenannte Dreifach-Axel – der anspruchsvollste Sprung im Eiskunstlauf. Ihr Name wird jedoch für alle Zeiten mit dem schlecht geplanten und stümperhaft durchgeführten Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan in Verbindung bleiben. Das sollte ihre Erzrivalin trainingsunfähig machen und Tonya den Sieg in den amerikanischen Meisterschaften sichern – doch es kam anders…

Tonya Harding? Nie gehört

Das Drama um Tonya Harding ist für das deutsche Publikum maximal eine Randnotiz gewesen. In den USA allerdings war es in den Neunzigern sowas wie die größte Sache neben dem OJ Simpson Case. Um sich in etwa vorzustellen wie es gewirkt hat, muss man sich eigentlich nur ausmalen was in Deutschland los wäre wenn der Manager von Katharina Witt plötzlich einer Eiskunstlauf-Konkurrentin das Knie zertrümmern lässt. Klingt krass? Ist es auch!

„I, Tonya“ von Regisseur Craig Gillespie („Fright Night“) wirft nun ein detailliertes Bild auf das Leben der berühmten Tonya Harding, ihre Familie und den einen berühmten Vorfall der alles verändern sollte und ihre Eiskunstlaufkarriere für immer beendete.

Dabei bedient sich das Drehbuch dem in den letzten Jahren recht gern genutzten Konzepts der Mockumentary. Während in Rückblenden das Leben von Tonya Harding gezeigt wird, kommen die Protagonisten auch immer wieder selbst zu Wort. Im Rahmen von Einzelinterviews kommentieren Tonya, Ihre Mutter LaVona (Allison Janney), Tonyas Freund/Ehemann/Manager Jeff Gillooly (Sebastian Stan) und andere das Geschehen und merken auch hier und da mal an, wenn etwas so gar nicht stimmen würde, gänzlich anders passiert sei oder nicht ganz so gelaufen ist wie geplant.

„Well my story line is disappearing right now. What the fuck!“

Das führt zu einem herrlich kurzweiligen Erzählfluss. Der Film beginnt in Tonyas Jugend, wo sie und ihre Mutter einen großen Teil der Handlung einnehmen. Bereits hier merkt man die oftmals eigenwillige Art und Weise ihrer Mutter und ihrer eigentümlichen Erziehungsmethoden. Doch ist es auch ihre Mutter die Tonya ermöglicht ihrem Traum vom Eiskunstlauf zu folgen. Je älter Tonya wird, desto mehr rückt ihre Mutter doch dann in den Hintergrund. Soweit, dass sie sich innerhalb des Films sogar lautstark beschwert (siehe Absatzüberschrift). Diese und ähnliche Kommentare gibt es eine gute Handvoll und diese erfolgen sowohl in den Fake-Interviews als auch mitten in einer Szene, „out of context“. Kreativ und einfach herrlich skurril.

Aber Allison Janney als Tonyas Mutter ist sowieso ein Highlight des Films. Sie labert drauf los wie ihre der Schnabel gewachsen ist, nimmt kein Blatt vor dem Mund und ist einfach eine absolute White Trash Dame. Doch da ist sie natürlich nicht die einzige, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Auch Tonya hat in ihrer nicht immer einfachen und teilweise auch von Gewalt geprägten Kindheit einiges gelernt was man keinem Kind wünscht, was sie dann aber auch als heran- und erwachsene anzuwenden weiß. Ein gepflegtes „Suck my dick!“ gegen der Jury von der sie sich wieder mal ungerecht benotet sah ist da noch ein laues Lüftchen.

Allison Janney ist unangefochten an der Spitze

Etwas blasser und leider nicht so effektiv kommt da ihr Freund und späterer Ehemann Jeff Gillooly daher. Er wird früh als Schläger etabliert, gibt sich parallel aber auch immer verletzlich. Generell etabliert der Film nicht immer ob das was gerade gezeigt wird nun wirklich der Wahrheit entspricht, da selbst die Protagonisten da nicht immer ganz sicher sind. Auch Jeffs Freund und späterer Komplize Shawn (Paul Walter Hauser), der sich selbst als Tonyas Bodyguard und Superspion vorstellt (aber nur ein dickes Muttersöhnchen ist), hüpft von einem Klischee zum nächsten und gleicht einer Karikatur.

Margot Robbie als titelgebende Tonya spielt ordentlich aber ohne wirklich zu Glänzen. In den schwierigen Eiskunstlaufszenen wurde ohne Frage digital nachgeholfen, was klar ist bei den professionellen Moves. Im Rest des Films macht sie eine gute Figur und hat den Charakter der Tonya voll aufgenommen. Doch am Ende fehlt irgendwas wodurch man denkt „Wow was für eine Performance“.

“I mean, it’s what you all came for folks The fucking incident.”

Wenn es dann schließlich dazu kommt den Vorfall mit Kerrigan aufzurollen, merkt man schnell, dass irgendetwas fehlt. Der Film etabliert praktisch überhaupt keine Rivalität zwischen Nancy und Tonya. In einer Nebenszene wird kurz erwähnt, dass Nancy und Tonya bei manchen Wettbewerben auf demselben Zimmer geschlafen haben und Freundinnen wären. Doch das war es dann auch. Sie kommt nicht zu Wort, die beiden haben praktisch keine gemeinsame Szene. Umso absurder und dadurch mit enorm wenig Auswirkungen wirkt der Vorfall auf den Zuschauer. Man hat fast das Gefühl das eine komplett unbeteiligte nun auf brutal unnötige Weise in den Film hineingezogen wird. Das ist irgendwie schade, denn der Film arbeitet natürlich schon auf diesen Moment hin. Dann ist er vorbei und man denkt sich „Das war es jetzt? Und wieso, warum, weshalb?“. Man erfährt zwar viel über die Hintergründe wie der Angriff dann zustande kam, aber so richtige Gründe erkennt man leider überhaupt nicht.

Wirklich fantastisch ist dafür der Soundtrack. Man entschied sich gegen einen neu komponierte Score und für existierende Songs. Das war eine gute Wahl, denn die Zusammenstellung ist spitze. Heart mit Barracuda, Fleetwood Mac mit The Chain, 25 or 6 to 4 von Chicago oder Goodbye Stranger von Supertramp sowie viele andere Classic Rock Songs veredeln den Film in den jeweiligen Szenen und sind meist einfach richtig passend. Einzig, dass im Abspann nur eine The Passenger Coverversion statt des Originals kommt verwirrt etwas.

Das Fazit

„I, Tonya“ liefert einen interessanten Blick auf das Leben und die Karriere sowie das Karriereende von Eiskunstläuferin Tonya Harding. Auch wenn man zuvor nur wenig oder gar nichts von dem Vorfall gehört hat, schafft es das knackige Drehbuch mit all seinen erzählerischen Kniffen den Zuschauer gut zu unterhalten. Man bekommt ein erschreckendes Bild gezeichnet von einer Person die ihr ganzes Leben arg schikaniert worden ist. Man lernt aber auch, dass sie selbst daran nicht immer ganz unschuldig war. Weder wird Tonya hier zur Unschuldigen hochstilisiert, noch hängt der Film ihr sämtliche Schuld an. „I, Tonya“ macht hier einfach vieles richtig und erzählt eine aus dem Leben gegriffene Geschichte mit der nötigen Portion Humor und Ernsthaftigkeit. Klare Empfehlung.

Filmbewertung: 8/10

PS: Wer hat sich immer schon gefragt hat wieso die Zerg Königin in Blizzards “Starcraft” Kerrigan heißt? Weil die Videospiel-Studios Blizzard und Westwood damals sowas wie einen Krieg um die Krone der Echtzeitstrategie führten, entschied sich Blizzard ihre weibliche Spiele-Heldin Kerrigan zu nennen. Denn die weibliche Heldin im Konkurrenzprodukt „Command and Conquer“ von Westwood hieß schließlich „Tanya“. Das klingt ja so ähnlich wie „Tonya“.