Atomic Blonde

Atomic Blonde
Originaltitel: Atomic Blonde – Erscheinungsjahr: 2017 – Regie: David Leitch

Erscheinungstermin: Ab dem 24. August im Kino

Darsteller: Charlize Theron, James McAvoy, Eddie Marsan, John Goodman, Toby Jones, James Faulkner, Roland Møller, Sofia Boutella, Bill Skarsgård, u.A.

Filmkritik: Was ist „Atomic Blonde“? Knochenbrechende Intensiv-Action? Check! Gelackter 80er-Jahre-Neon-Stil in Bild und Ton? Doppel-Check! Lesbenszene ohne US-Prüderie? Tripple-Check! Ist das der Film des Jahres? Leider nein, denn Regie-Debütant David Leitch vergisst leider innerhalb der ersten Stunde des 115 minütigen Streifens, dass es auch so etwas wie Charaktere braucht, damit man das Ganze genießen kann.

Struktur und Charaktere, was ist das?

Der Großteil des Streifens wird in Form einer Befragung präsentiert, in welche die eigentliche Handlung als Rückblenden eingestreut wird. Ich muss zugeben, dass ich davon nicht so recht ein Fan bin. Aber man kann es immer noch gut hinkriegen. Das wichtige Wort hier ist „kann“, denn Regisseur Leitch nutzt das Ganze nicht, um den Ablauf zu beschleunigen, sondern eher für das Gegenteil. So werden einem die Figuren in der ersten Stunde kaum nahe gebracht und es gibt zahlreiche Momente, die man ohne Probleme hätte kürzen können.

Erst wenn die von Charlize Theron dargestellte US-Agentin auf eine französische Spionin trifft und die beiden so etwas wie eine Beziehung aufbauen, taut auch die eisige Fassade der Theron etwas auf. Das ist sicherlich inhaltlich auch so intendiert, wenn man aber als Zuschauer eine Stunde lang mehr oder weniger am ausgestreckten Arm verhungert, weil der Macher bewusst keine Charaktermomente zulässt, dann ist das schon etwas frustrierend.

Stil statt Substanz – Der Film

Beim Stil schöpft „Atomic Blonde“ aus den Vollen: Gelackte Bilder, bis auf eine merkwürdige Ausnahme erstklassig passende zeitgenössische Synthesizer-Tracks und mehr. Das ist schon ein ziemlich Verwöhnprogramm. Schade ist nur, dass aus dem eigentlichen Handlungsort – Berlin kurz vor dem Mauerfall – so wenig gemacht wird. Erst im letzten Drittel gibt es ein paar clevere Ideen, während zuvor der Ost-West-Konflikt eher locker genommen wird. So schafft es etwa der von James McAvoy mit sehr viel sichtbarer Spielfreude dargestellte Agent quasi täglich auf kinderleichte Art und Weise über die Grenze. Das ist zwar drollig anzusehen, untergräbt aber auch etwas den ernsten Ansatz.

Generell schwankt „Atomic Blonde“ es Öfteren zwischen gut gelaunter Actionsploitation und erstgemeintem Thriller. Aber das ist nur ein kleines Problem im Gegensatz zu der großen Persönlichkeitslosigkeit der ersten Filmhälfte. Abschließender Meckerpunkt ist einfach die Laufzeit. Mit rund 90 Minuten samt Abspann wäre „Atomic Blonde“ wohl ein absoluter Überknaller geworden, doch so gibt es einfach immer wieder viel zu viel Leerlauf, der durch die fehlenden interessanten Charaktere noch langgezogener wirkt. Wenn im Vergleich eigentlich alle DTV-Actionstreifen der letzten Jahre mehr interessante Figuren bieten, dann hat man definitiv etwas falsch gemacht. Dass dann sogar noch die paar „Überraschungen“ des Streifens meilenweit vorhersehbar sind für jeden, der zumindest einen oder zwei ähnliche Filme bereits gesehen hat, ist ebenfalls ziemlich schade. Dass darüber hinaus sogar einige Elemente bereits im Trailer verraten werden, ,macht das Ganze nicht besser.

Dennoch ein sattes Actionfest?

Aber kommen wir abschließend zur Action und – mein Gott – diese haut wortwörtlich richtig rein. Besonders, wenn in der zweiten Hälfte das Geschehen fast zu einer einzigen Verfolgungsjagd wird, kann man sich gar nicht satt sehen an dem, was der ehemalige Stuntmeister David Leitch hier präsentiert. Man merkt, dass er früher an Knallern wie „Blade“ (1998) und „Matrix: Reloaded“ (2003) oder auch „Ninja Assassin“ (2009) gearbeitet hat, denn hier geht es so richtig zur Sache.
Die Aufnahmen sind lang genug, die Übersichtlichkeit ist immer gegeben und man kann jeden Schlag und Tritt regelrecht spüren. Und, ich meine mich zu erinnern, sogar der Wilhelm-Schrei ist mal wieder am Start. Allein der Action wegen ist „Atomic Blonde“ definitiv sehenswert, auch wenn man eben etwas Sitzfleisch mitbringen muss.
Oh ja. Und natürlich wegen der Lesben-Nummer zwischen Charlize Theron und der bezaubernden Soufia Boutella. Aber das ist, wie die Amis so schön sagen, „Icing on the Cake“. Wer knallharte Action haben will, der ist bei „Atomic Blonde“ genau richtig. Wer einen spannenden Film sehen will, leider nicht wirklich.

Fazit: Das satte und schonungslose „Auf die Fress“-Gehabe von „Atomic Blonde“ ist ziemlich toll, was das Drehbuch angeht, gibt es aber noch zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten. So bleiben wir am Ende bei der Filmbewertung 6/10 und der Ansage, dass dies auf jeden Fall ein beeindruckendes Film-Debüt für David Leitch ist. Man darf zu Recht gespannt sein, was er noch auf die Beine stellen wird. (Auch wenn sein nächstes Projekt „Deadpool 2“ ist. Hm.)