Feuchtgebiete

Feuchtgebiete
Originaltitel: Feuchtgebiete – Erscheinungsjahr: 2013 – Regie: David Wnendt

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Darsteller: Carla Juri, Peri Baumeister, Meret Becker, Axel Milberg, Edgar Selge, Christoph Letkowski, Fred Aaron Blake, Anna König, Amelie Plaas-Link, Marlene Kruse, Florian Rummel, Christian Natter u.A.

Filmkritik: „Ich bin mir ja gar nicht sicher, wie man so einen Film überhaupt vom Marketing her aufziehen soll“, meinte die Presseverantwortliche verschämt und setzte nach dem PV-Termin an etwas zögerlich zu fragen: „Und, was sagen Sie zu dem Film?“ Meine Antwort fiel wenig freundlich aus: „Wenn man sich so etwas wie Charme in Großaufnahme aus dem Allerwertesten ziehen könnte, hätte der Streifen vielleicht eine Chance gehabt. Aber so ist das leider einfach nur ein überinszeniertes Nichts.“

Aber das muss im Sinne einer Besprechung nun natürlich etwas ausgeführt werden. Die „Geschichte“ von „Feuchtgebiete“ dreht sich darum, dass die junge Helen Memel sich bei der Rasur die Rosette aufgeschnitten hat und nun mit einer schlimmen Analfissur im Krankenhaus liegt. Dort gibt es nicht nur den obligatorischen Love-Interest in Form eines verschüchterten Arzthelfers. Sogar eine Klischee-Konkurrentin bietet sich in Form der zweieinhalb Mal überhaupt nur im Film vorkommenden Ex-Freundin des Helfers, die gern mal irgendwas zickiges sagt. Oder zumindest so wirken soll.

Die eigentlichen Handlungsstruktur fußt dabei auf den chronologisch erfolgenden Rückblenden, die Helen in ihrem Anal-Delirum hat. Dabei sinniert sie über vergangene Taten, eigene Experimente mit Geschlechtlichkeiten aller Art sowie die Trennung ihrer Eltern. So weit, so sehr hätte das Ganze zumindest wie eine frechere Variante eines Elfriede Jelinek-Freak-O-Romans mit bewusst eingestreuten Provokationsmomenten sein können. Man beachte das „hätte“, denn leider ist – bis auf die Darsteller, die ihre Sachen gut machen im Bezug auf das stereotype Idiotenmaterial, welches ihnen vom Drehbuch her gegeben wird – so gar nichts im Film enthalten, was auf irgend eine Art und Weise in positiver Erinnerung bleibt.

„Helen Memel … eine junge Frau, die keinen Tabubruch scheut und bei aller Provokation eine Kämpferin für die Reinheit der Seele ist“

…sagt das auf peinlichste Weise prätentiöse Pressematerial zum Film und zeigt direkt die Richtung auf, in welche der überinszenierte Inhalt geht. Dabei fängt bereits vom ersten Moment – wo Helen in eine mit brackig-braunen Wasser überflutete Toilette geht, nur um „mit meiner Muschi die dreckige Klobrille abzuwischen“, um ihrer Hygiene besorgten Mutter eins auszuwischen – Regisseur Wnendt damit an, den Zuschauer mit seiner Inszenierung richtig gehend anzuspringen.

Erste Erinnerungen an Oliver Stones Kritik an der medialen Überreizung bei „Natural Born Killers“ werden wach. Nur wo dort der Effekt-Overkill an optischen Spielereien eine inhaltliche, wenn auch etwas platte, Komponente hat, so suhlt sich Wnendt in der eigenen MTV-Clip Ästhetik, welche vor allem „cool und hip“ erscheinen soll, ohne ihre Entsprechung in der Handlung oder den Figuren zu finden. Ihren besten Moment hat diese Inszenierung da noch direkt am Anfang, wo die Kamera auf eine verkrustete Klobrille zufährt, nur um in noch kleinere Micro-Universen einzutauchen, bei denen die Ablagerungen, Pilze und sonstiges Kroppzeug nun dargestellt wie Grippe-Monster in der Hustensaft-Werbung einander in fluoreszierenden Gaga-Welten jagen. Nach diesem deftig-originellen Moment verläuft sich jede Originalität in überdeutlichen Spielereien. Platzt Helens Traum von den wiedervereinten Eltern, zoomt etwa die Kamera heraus und zeigt die Szene in einer Seifenblase, die zum Platzen gebracht wird. Warum? Na, weil es halt cool aussieht, warum denn sonst?

(Gut, ein weiterer Moment mit einem Avocado-Keim bleibt zusätzlich noch in hübsch surrealer Erinnerung.)

„Helens Mutter … die ihrer Tochter schon früh beibringt: ‚Vertraue niemandem. Nicht einmal deinen Eltern.’“

…und das tut sie direkt in ihrer ersten Szene, indem sie der vierjährigen Helen, die auf einer Mauer steht, die Arme entgegen streckt, nur um diese zurück zu ziehen und einen Schritt zur Seite zu gehen, als die Kleine springt. Ok, Mommy ist ein Psycho, was gibt es sonst Neues? Leider nichts. Denn dem Drehbuch fällt auch nichts weiter ein, als diese eine Note ständig weiter anzuschlagen. Selbst beim großen Finale, wo Helen sich an eine gar schröckliche Tat erinnert, welche sie scheinbar verdrängt hat bis zum heutigen Tag, bleibt der Punkt derselbe: Helens Mutter gehört in die Anstalt.

Das sind aber alles Fakten und Emotionen, welche bereits problemlos nach einem Drittel, wenn nicht einem Viertel der Laufzeit vermittelt wurden. Eine Katharsis gibt es nicht, warum auch? Der Streifen bemüht seine fadenscheinigen Tragik-Elemente nur so lange, bis wieder ein komplett vom eigentlichen Geschehen lösgelöst erscheinender Provo-/Pseudo-Ekel-/ oder Inszenierungs-Gag in die Handlung eingewoben werden kann.

„Helens Vater … der so selbstbewusst abrockt, wie jemand, der ebntweder einen großen Penis hat oder sehr viel Geld. Er hat beides.“

Der Vater darf derweil seine Frau trotz aller Umstände lieben, aber verzweifelt an deren Wahnsinn, um schließlich den Hut zu nehmen. Nicht jedoch die Kinder, was gerade in Anbetracht der vorgeführten Szenen und des ach so tiefsinnigen Offenbarungsendes mehr als fragwürdig ist. Aber beschäftigen wir uns nicht weiter damit, es geht ja eigentlich darum, mit „Feuchtgebiete“ eben all die „Igitt, bäh, hihi“-Momente der fragmentarischen Vorlage zu verarbeiten. Die lose Flashback-Struktur bietet dann natürlich die passende Ausrede, um ohne jeden Bezug zum eigentlichen Geschehen Sachen zu zeigen wie die Gemüse-Masturbationsversuche oder das Muschi-Geruch-Mantra der Hauptfigur.

Während das Buch aber eben jene Momente im Vordergrund hat und die „Hintergrundgeschichte“ schemenhaft auslässt, damit sie vom Leser selbst zusammengesetzt werden kann, wird man beim Film direkt von der ganzen Dramatik erschlagen, die der Film als Rechtfertigung auffährt. Anstatt so von der Provokation zum Kern der Sache zu kommen, weiß man direkt, dass all dies wenig mehr als die Auswüchse einer gestörten Kindheit und einer gestörten Mutter sind.
Helen ist damit weniger „Kämpferin für die Reinheit der Seele“, sondern wird so eher in Richtung Norman Bates gerückt, was die Verstörtheitswerte angeht.

(Und dabei werden trotz allem anscheinend zu skandalöse Momente, wie das Faszinieren wie Sex mit dem eigenen Vater wäre, dann doch rausgelassen. Man wollte anscheinend nicht zu abseitig werden?!? Gerade im Hinblick auf die zwischenmenschlichen Abgründe ist dies dann nur noch lächerlich, wäre doch so eine Fetischisierung des eigenen Vaterbilds Angesicht der Situation mit der gestörten Mutter ein Punkt, welcher nicht nur provokant, sondern sogar für die Geschichte passend wäre…)

Aber nicht, dass jetzt jemand denkt, dass es irgend eine Art von Katharsis gibt. Ganz im Gegenteil. Im Finale fügt sich Helen in bester Tradition als ‚Kämpferin für die Cutter und Selbstverstümmler dieser Welt’ ein solches Analtrauma – jupp – zu, dass sie beinahe verblutet. So sehr will sie, dass ihre Eltern gemeinsam zu ihr ans Krankenbett kommen, wie sie immer wieder gern mit Kleinmädchenstimme ihrem sexy Krankenpfleger-Freund in spe erzählt. In der folgenden Not-OP folgt dann eben ein weiterer „Mama ist ein Psycho“-Moment, welcher anscheinend – warum auch immer – inhaltlich für einen runden Abschluss sorgen soll. „Wie?!?“ ist eine gute Frage, aber zumindest ist der Film dann halt schon fast aus, also warum noch darüber diskutieren? Für die Figuren verändert sich nichts, einzig der Zuschauer hat zwei Stunden seines Lebens verschwendet.

„Wenn man Schwänze, Sperma und andere Körperflüssigkeiten ekelhaft findet, kann man es mit dem Sex auch direkt bleiben lassen.“

…man muss nun aber auch nicht gleich mit einer Hand voll Sperma stolz durch die gesamte Stadt fahren, nur um Stunden später noch tiefsinnig auf die verkrustete Handinnenfläche zu starren. Oder?
Manch ein Kritiker war dabei so witzig und philosophierte sich bei den „Feuchtgebiete“ gar eine Coming-Of-Age Story aus femininer Sicht zusammen. Dabei ist „Feuchtgebiete“ wohl eher ein „Coming-Of-Crazy“ in seiner lustvollen Multiplikation des anal-vaginalen Banalen. Das absolute Paradebeispiel für den inszenatorischen Selbstzweck gibt es in Form eines beinahe „Family Guy“ artigen Cut-Away-Jokes. Das Set-Up: Helen bestellt sich eine Pizza ins Krankenhaus (ohne Geld, so dass sie auch noch direkt ihren Freund in spe mehr oder weniger zwingt das Ding zu bezahlen) und fragt sich dann, ob die Pizzabäcker da vielleicht draufgewichst haben. Dies ist das Stichwort, um vier Männer zu zeigen, die energisch auf eine große Pizza masturbieren, um schließlich in Großaufnahme und zu klassischer Musik abzuspritzen und der Bringgericht gleich noch eine sämig-brackige Note zu verpassen. So amüsant es war mal wieder Hardcore „im normalen Kino“ und gleichfalls die geschockten Blicke mancher Mitgucker-Innen zu beobachten – inklusive der putzigen Frage im Anschluss „Das war doch Hardcore, oder?!?“ – so sehr offenbart es das eigentliche Problem des Films: Stetig schwankend zwischen dem Wunsch durchaus eine tiefergehende, dramatische Geschichte zu erzählen, gepaart mit dem Zwang auch ja „voll provokant und hip“ zu sein, damit auch ja der gleiche Ton getroffen wird, der damals dazu geführt hat, dass sich die ach so skandalöse Buchvorlage verkauft. Nur war da leider die geschrieben Variante von Charlotte Roche trotz aller bewussten Skandaltauglichkeit stringenter Geschrieben und musste nicht damit hadern, so viele Elemente unter einen Hut zu bringen: Menschliche Abgründe, die verlorene Jugend, der Umgang mit der eigenen Sexualität, die hippe Optik eines Musikvideos, freche Dialoge, eine typische Klischee-Liebesgeschichte, komödiantische Momente, oder auch Blut, Sperma oder sonstige Körperflüssigkeiten ergiebige Schock-Inszenierung.

Ganz zu schweigen davon, dass eine gesamte Nebenhandlung rund um Helens beste Freundin und das schlussendliche Ende der eigentlich bei aller Derbheit putzigen Beziehung, bereits das Potential als eigenständiger Film für sich hatte. …all das wirkt so retrospektiv gesehen schon extremst überladen, nicht wahr? Und eben genau dies ist auch das Problem, welches „Feuchtgebiete“ zwischen alle – so wie man den Film kennt mit Scheiße und Sperma verkrusteten – Stühle setzt. Die Darsteller können viel mehr, als sie in diesem 3D-Cartoon zeigen dürfen und Regisseur Wnendt kann hoffentlich seine hippe Optik demnächst mal mit einem guten Skript kombinieren.

Das Beste an „Feuchtgebiete“ ist das Reden darüber nach der Vorstellung. Als Werk an und für sich will es viel zu viel, aber ist doch am Ende mit viel zu wenig zufrieden. Auch wenn es durchaus drollig ist mit anzusehen, wie sehr der Streifen von manch einer Besprechung schnell als provokant-gelungener Streifen ums Erwachsenwerden gewertet wird, wo zumeist keinerlei Bezug auf die inhaltlichen Derbheiten genommen werden, obwohl diese eben das Bild hier von Anfang an bestimmen. Ist die Angst auch nur ansatzweise prüde wirken zu können heute so groß, dass man deshalb lieber dem Film mit einem „Schön gemacht“ auf die Schulter tätschelt und sich schnell anderen Sachen zuwendet?

Den meisten Spaß dürfte man wohl haben, wenn man in einem durchschnittlichen Multiplex eine Freitag- oder Samstagabend Vorstellung besucht, nur um statt des Films dabei die Gesichter der Leute im Saal zu beobachten… das wäre ohnehin ein nettes Feature für die anstehende Heim-Kino-Veröffentlichung! Bis dahin gibt es aber mal die unbefriedigende

Filmbewertung: 4/10

1.) P.S.: Eine drollige Sache am Rande ist die Tatsache, dass der Film extrem herumdruckst Helen ein definitives Alter zu geben. Vom Verhalten her wirkt die „Kämpferin für die ….“ – ok, mal im Ernst: Selbst der Autor/In dieser Zeilen kann das nicht ernst gemeint haben, oder? – zwischen geistig fünf und körperlich Mitte 20. Und selbst wenn Helen, wie das Info-Material geradezu panisch schreibt, „gerade 18“ ist, in den Rückblenden eben einige Jährchen früher gezeigt. Das stört den Autor dieser Zeilen jetzt weniger, ist aber ein weiterer Punkt für die anschließende Diskussion, welche wohl viel ergiebiger ist, als alles, was vorher auf der Leinwand stattgefunden hat.

2.) P.S.: Apropos Gesprächsstoff: Von Männern gibt es ejakulierende Schwänze in Großaufnahme zu sehen und das Maximum bei der Damenwelt in der verschämte Blick auf die Ansätze eines Venushügels? Also bitte, ist es Zeit geworden für Sexismus einmal andersrum, oder was? Skandal! (<- Ok, ist jetzt nicht sooo ernst gemeint…)

3.) P.S.: Für fliegendes Sperma in Slow-Mo empfehlen wir den 70er Porno-Klassiker „Behind The Green Door“, welcher das Ganze künstlerischer, origineller und im Endeffekt interessanterweise sogar unterhaltsamer aufgezogen hat. Aber das nur so als dreckige Info am Rande.