Cloud Atlas – Wolkenatlas

Wolkenatlas
Originaltitel: Cloud Atlas – Erscheinungsjahr: 2012 – Regie: Tom Tykwer, Lana Wachowski, Andy Wachowski



Darsteller:
Tom Hanks, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Susan Sarandon, Halle Berry, Hugh Grant, Keith David, Ben Whishaw, Jim Broadbent, Götz Otto, James D’Arcy, Zhu Zhu u.A.

Filmkritik: Es gibt Filme, die muss man fühlen und es gibt Filme, denen sollte man intellektuell begegnen und dann gibt es manch eine Ausnahme, bei der beide Sinnesherangehensweisen willkommen sind. Der „Wolkenatlas“ ist solch ein Film geworden. Tom Tykwer und die Wachowski-Geschwister lassen dabei verschiedenste Geschichten aus den verschiedensten Zeitperioden zu einem großen, die Menschlichkeit bejahenden Ganzen werden.

Egal, ob es um die Freundschaft zwischen einem kranken Anwalt und einem flüchtenden Schwarzen, ob es um einen mittellosen Komponisten, der sein Meisterwerk für sich behalten will, ob es um ob es um eine Enthüllungsjournalistin, die Leben rettet, ob es um einen alten Verleger, der sich die Freiheit aus einem Altersheim und seiner eigenen Untätigkeit, ob es sich um den rebellischen Kampf gegen ein menschenverachtendes System, oder ob es um die endzeitliche Reise eines Wilden und einer „mit dem Wissen des alten Volkes“ geht, auf einer Mission die letzten Leben zu retten.

Was sich jetzt erst einmal als zu viel für einen Film anhört, ist durch Schnitt und inhaltliche Verbindungen so gut zu einem untrennbaren Ganzen vereinigt, dass es eine Wonne ist. Kinomagie in Reinkultur wird hier zelebriert und fesselt dabei mit seinen knapp drei Stunden Laufzeit besser an den Kinosessel als manch mittelmäßiger 90minüter. Auch spielen in den verschiedenen Geschichten immer wieder dieselben Darsteller andere Personen, ungeachtet ihres Alters, ihrer Nationalität oder Hautfarbe, oder auch ihres Geschlechtes. Das ist hier und da kaum merklich, an anderen Stellen auf den ersten Blick etwas ablenkenden, aber da im Endeffekt die gesamte Geschichte des „Wolkenatlasses“ ohnehin nur eine weitere Geschichte ist, welche dem Zuschauer erzählt wird, ist dies mit diesem Wissen im Hinterkopf schnell zu vergeben. Andere, als mögliche Kritikpunkte aufkommende Elemente gibt es nicht und eigentlich jeder Mensch der diesen Film sieht, wird mindestens zwei, drei der Kurzgeschichten, wenn er denn nicht allen etwas abgewinnen kann, mit Sicherheit in sein Herz schließen.

Vom Anfang der Zeit bis ans Ende der Zeit

Dabei ist es wundervoll zu sehen, wie sehr hier nicht halt gemacht wird vor irgendwelchen Grenzen. Der im Original mit einem R-Rating und hierzulande deutlich besser mit einer ab 12 Freigabe davon kommende Film bietet sowohl harsche Gewalttätigkeiten, liebevolle und melodramatische Momente, sinnliche Situationen wie auch handfeste Action, Spannung und sogar viele humorvolle Stellen, wobei eben jener Humor zwischen trocken, leichtfüßig, tief schwarz und schlicht charmant pendelt, eben passend zur jeweiligen Situation.
Abgesehen von dem unprüden Umgang mit brutaleren oder nackteren Momenten ist hier aber vor allem die geistige Offenheit bewundernswert, die hier in einer Geschichte etwa auch eine homosexuelle Liebesgeschichte wunderbar unverkrampft darstellt und nicht durch zahlreiche Sozialmomente wie damals noch „Brokeback Mountain“ zu relativieren versucht. Egal, ob Mann oder Frau, ob gut oder böse, der „Wolkenatlas“ zeigt, dass sich über die Zeit all dies im Wandel ist. Nein, eher noch, dass die einzige Konstante der Welt eben dieser Wandel ist, denn nur stillstand und das Verharren auf alten Gedanken und überholten Denkstrukturen ist wirklich tödlich, wirklich böse. Die Hoffnung, dass am Ende die Menschlichkeit alle Grenzen überschreitet und immer Teil des Wandels ist, oder zumindest sein sollte, ist am Ende sicherlich neben all den stark unterhaltsamen Momenten das Grundgefühl, mit welchem man nach dem Erleben all dieser fantastischen Geschichten aus dem Kino entlassen wird.

Die fantastischen Darsteller geben das Ihrige zu Gelingen dieses außergewöhnlichen Film-Mixes dabei und sind, abgesehen von manch irritierenden bis bizarren Make-Up-Jobs, sogar hier und da so gekonnt in ihren anderen Rollen, dass man erst beim tollen Abspann gezeigt bekommt, wer denn hier nun vorhin in welcher Rolle durch das Bild gelaufen ist.

Ebenso die Musik, welche auch gelungen eingesetzt wird aus den so unterschiedlichen Episoden am Ende ein homogenes Ganzes zu kreieren. Da ist kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig, wenn denn überhaupt ein Wort gesprochen werden muss, bei dem ausdrucksstarken Soundtrack, welcher schon beinahe mit seinen Darstellern darum konkurriert, welche von beiden denn einzig durch ihre Taten mehr aussagen können als viele Dialoge.

Und wenn man das Ganze etwas weniger philosophisch sieht…

… dann haben Tom Tykwer und die Wachowskis hier einen Film abgeliefert mit: coolen schwarzen Seefahrern, einem Tom Hanks im Ali G-Outfit, der einen Kerl vom Balkon wirft, mehrere coole „alte Säcke“ die sich ihre Freiheit erkämpfen, einen der besten „American Pie“-esquen Gags aller Zeit, einer immer schön anzusehenden Halle Berry, die sich mit Tom Hanks einen Joint teilt, Hugo Weaving der einen Hund erschießt, Hugo Weaving als bizarres Houngan-Gedankenmonstrum, fantastische Sci-Fi-Welten, nackte Asiatinnen, nackte Asiatin beim Sex, akrobatische Zukunfts-Gefechte, verrückte Zukunftssprache (die im O-Ton sicherlich noch besser klingt), Endzeitkannibalen, Hugo Weaving als Endzeit-Kannibale und die Mutter aller Mindfucks: Hugo Weaving als AltersheimpflegerIN im Kampf mit Kampf mit Katy Karrenbauer. ’nuff said!

Filmbewertung: 10/10

P.S.: Der Film lehrt, dass die Welt wegen den kleinsten, persönlichsten Gründen oftmals von Grund auf geändert oder umgekrempelt wird. Und auch wenn ich dem gesamten Film und seiner Existenz damit sicherlich nicht gerecht werde, so bleibt im Hinterkopf doch das nagende Gefühl, dass Tom Tykwer (und Co.) im Endeffekt diesen großartigen, zu Herzen gehenden, fantastischen Film gemacht hat, um schlicht und ergreifend sagen zu können: „Ich habe einen Film gedreht, in dem sich Agent Smith als Frau mit Walter, der Knastlesbe in einem Pub prügelt!“ Und wisst ihr was? Es gab schon deutlich schlechtere Begründungen, einen so großartigen Streifen wie den „Wolkenatlas“ zu drehen!