Reality Bites – Voll das Leben

Voll das Leben – Reality Bites
Originaltitel: Reality Bits- Erscheinungsjahr: 1994 – Regie: Ben Stiller

Darsteller: Winona Ryder, Ethan Hawke, Janeane Garofalo, Steve Zahn, Ben Stiller, Swoosie Kurtz, Harry O’Reilly, Susan Norfleet, Joe Don Baker, Renée Zellweger, James Rothenberg, John Mahoney

Filmkritik: Den College Abschluss in der Tasche aber dann? Frisch aus der Bildung und hinein ins Berufsleben. Doch den Einstieg hat sich Lelaina (Winona Ryder) etwas anders vorgestellt und bald ist sie ihren Job als Praktikantin einer Frühstücksshow auch schon wieder los. „Was nun?“ sprach Zeus. Naja, erst einmal das Privatleben in den Griff bekommen, Geld gibt’s auch aus Nebenjobs und in einer WG ist die Miete ohnehin billiger. Im Privatleben geht’s aber ähnlich chaotisch zu wie im Job, steht sie doch plötzlich vor der Wahl fürs weitere Leben. Der Yuppie Michael (Ben Stiller) oder der Slacker Troy (Ethan Hawke)? Und überhaupt, das Leben stinkt grad sowieso irgendwie…

Die so genannte „Generation-X“ sprach in den 90er Jahren die Sprache von vielen Jugendlichen. In Europa zwar bestimmt weniger als in den USA, aber insgesamt waren die 90er u.a. geprägt von dieser Art Filmen, wie sie u.a. Cameron Crowe mit „Singles“ oder Richard Linklater mit „Slacker“ oder auch Filmen wie „Dazed and Confused“ gedreht haben. Regisseure wie diese zwei oder auch Kevin Smith haben ihr Stück dazu beigetragen vielen Jugendlichen aus der Seele zu sprechen und es zudem geschafft mit diesen Filmen ihre Karrieren zu starten.

„I guess I’m, uh, a non-practicing Jew” – “Hey, I’m a non-practicing virgin.”

„Reality Bites“ ist aber auch im Jahr 2011 kein Relikt aus längst vergessenen Zeiten. Der Film schafft es auch heute noch eine komplett neue Zuschauerschaft anzusprechen, wenn man denn zur Zielgruppe gehört. Das Leben der vier Freunde im Film ist im Prinzip nichts besonders, doch ihr Desinteresse an Materiellem, an einem guten Job und der verschränkte Blick vor der Zukunft, das ist auch heute hier und da noch beneidenswert auch wenn es zugleich kurzsichtig und unverständlich erscheinen mag.

Regisseur Ben Stiller, der auch selbst eine recht ungewohnte Rolle im Film bekleidet, schafft es dank der exzellent aufgelegten Darsteller diese Lebenseinstellung, diese Lockerheit und Lebensfreude glaubwürdig und unbeschwert auf den Zuschauer zu übertragen. Die Protagonisten sind keine Taugenichtse bei denen man ständig denkt, dass sie einem auf der Tasche liegen würde. Auch sie müssen Ihren Beitrag zur Konsumgesellschaft beitragen, aber sie verkaufen dabei längst nicht ihre Seele.

Neben den Figuren wird die recht einfache, teils etwas ziellos wirkende Geschichte vor allem vom tollen Soundtrack zusammen gehalten. Da tanzen die Freunde in einer Tankstelle ausgelassen zum Song „My Sharona“ von The Knack und gegen Ende gibt Ethan Hawke gar noch seine Gesangsqualitäten zum besten in einem höchst emotionalen, aber leider auch etwas zu dick aufgetragenen Finale mit zweifelhaftem Ausgang. Ansonsten weiß das gewitzte Drehbuch der damals gerade einmal 19 jährigen Helen Childress aber sehr zu gefallen und schafft es den Einblick und vor allem die Werte der Figuren wunderbar zu beleuchten. Schade das Childress danach nie mehr etwas Nennenswertes verfasst hat.

“Evian is naive spelled backwards.”

Von den 4 Hauptdarstellern nehmen Hawke und Ryder die größten Rollen ein. Ryder beweist in „Reality Bytes“ wieder einmal, was sie damals für eine tolle, wunderhübsche, aufstrebende Schauspielerin war. Wäre irgendwann Anfang des Jahrtausends nicht der dumme Diebstahl dazwischen gekommen, ihre Karriere wäre steil weiter angestiegen.
Janeane Garofalo als Freundin von Ryders Figur und Steve Zahn als homosexueller Freund werden beide nur sehr selten thematisiert. Vor allem bei Zahn wurden die Szenen arg beschränkt. Plötzlich kommt sein Outing im Film vor und man hat überhaupt keinen Schimmer wo er vorher die ganze Zeit war.
Stiller spielt hier den Business-Typ der versucht Ryders Figur auf seine Seite zu ziehen. Er emuliert ihre Wertvorstellungen und lässt sie die Beziehung lenken, doch als er dann irgendwann doch selbst die Zügel in die Hand nimmt kommt es wie es kommen muss. Stiller spielt diese gewiss ungewöhnliche Rolle gewohnt gut und überzeugend, auch wenn er, ggf. auch ungerechtfertigt, viel einstecken muss.
Eine damals völlig unbekannte Schauspielerin namens Renée Zellweger feiert in „Reality Bites“ übrigens ihr Spielfilmdebut.

„He’s weird, he’s strange, he’s sloppy, he’s a total nightmare for women… I can’t believe I haven’t slept with him yet.“

Ben Stiller erzählt in „Reality Bites“ eine interessante Geschichte die vor allem einen Einblick gibt in eine Generation von jungen Menschen die versucht haben wichtige Werte hochzuhalten, die in der heutigen Gesellschaft immer mehr in Vergessenheit geraten, was schade ist, denn man sollte sich nicht immer nur von Geld sondern viel öfter von seinen Gefühlen und seinen Interessen leiten lassen. „Reality Bites“ schwimmt gegen den Strom, was er mit den meisten Filmen dieser Zeit gemein hat, hat aber gerade deswegen eine kleine eingeschworene Fangemeinde, die sich gerne in diese Welt reinversetzt und auch ein bisschen so sein will wie die 4 gut gelaunten Freunde, denn man erfährt immer wieder das reality bites…

Filmbewertung: 8/10